Hallo zusammen,
die Taraxacum-Flora Deutschlands ist auch in den "speziellen Gruppen" wie Erythrosperma und Palustria derart lückenhaft bekannt, dass man oft nur an neuen Plätzen aussteigen muss, um was Interessantes zu finden.
Dieser Fall ist aber mal wieder ungewöhnlich. Der Kollege Peter Sprick aus Hannover, eigentlich ein renommierter Käferspezialist (mit dem ich bei den Rüssel- und Blattkäfern viel zusammengearbeitet habe), kümmert sich seit langem um die (Adventiv)Flora in den hannoveranischen Parks, so auch im Berggarten (dem botanischen Garten von Hannover). Dort gibt es alte Baumalleen mit Scherrasen (und Juchtenkäfer!), die vermutlich seit Jahrhunderten unverändert sind. Diese mageren Scherrasen sind auch Standort von mehreren Erythrosperma-Sippen. Peter schickte mir dieses Jahr Bilder einer ihm unbekannten, ungewöhnlichen Erythrosperma. Nach viel Herumspekulieren anhand der Bilder beschloss ich, auf dem Weg nach Norden einen Abstecher nach Hannover zu machen.
Die Überraschung war groß! Die fragliche Erythrosperma hatte eine völlig "irre", von mir noch nie so gesehene Blattgestalt. Zunächst dachte ich: "Mist, schon wieder eine neue, unbeschriebene Art", um abends im Hotel ein bisschen im englischen Richards (2021) und in Tardet (2000), dem unveröffentlichten Taraxacum-Bestimmungsprogramm der Holländer und Skandinavier, herumzustöbern. Denn im Nordwesten und auch noch in Hannover kann man ja mit atlantischen Arten rechnen. Und dann war der Fall sofort klar: das ist Taraxacum glauciniforme, eine überaus charakteristische, hauptsächlich britische Art (der Schwede Dahlstedt - fast der erste, der sich mit apomiktischen Löwenzähnen wirklich auskannte - war oft in England und hat in den 1920er und 1930er Jahren fast alle britischen Arten beschrieben). Sie ist aber auch schon mal in Holland und Nord-Frankreich aufgetaucht. Der britische Spezialist John Richards hat mittlerweile die Bestimmung bestätigt.
Daher ist der Fund in Hannover durchaus plausibel. Niemand wird aber rekonstruieren können, wie lange die Art schon dort ist und ob es sich um eine eingeschleppte oder heimische Art handelt. Das kann genausogut eine historische Einschleppung über Pflanzmaterial in diesen alten Parks sein. Auch wenn Niedersachsen schlecht kartiert ist - wenn diese auffällige Art in der Gegend regelmäßig vorkommen würde, hätte sie jemand schon mal finden müssen.
T. glauciniforme ist leicht zu erkennen. Die mittelgroße Art hat dicht- und äußerst viellappige Blätter, deren Lappenmuster sich regelmäßig wiederholt, mit immer wieder in regelmäßigen Abständen waagerecht hervorstehenden, linealisch verlängerten Seitenlappen, die über die restliche Blattfläche herausragen. Man sollte ihn auf Deutsch "Staketenzaun-Schwielenlöwenzahn" nennen! (Vielleicht mache ich das auch.)
Einigermaßen ähnlich ist nur T. falcatum, aber der hat viel längere Interlobien, lockerere Seitenlappen, und die linealischen Enden der Lappen sind falcat zurückgebogen.
Außerdem ist T. glauciniforme eine apolline Art mit rein gelben, unverfärbten Narben, eine Kombination, die man relativ selten findet (u. a. bei T. falcatum, T. dentosum, T. taeniatum oder T. glaucinum.) [Die schwarzen Pünktchen auf dem Blütenphoto sind Staub vom Rasenmäher nebenan...].
Die Achänen sind sehr klein und vergleichsweise hell orangebraun, auch das ist eine eher ungewöhnliche Achänenfarbe.
Jedenfalls ist erfreulich, dass es hier schon einen eindeutigen, bereits bekannten Namen gibt und wir nicht schon wieder in die Tretmühle einer Neubeschreibung (bzw. Prüfung auf Identität mit anderen europäischen Sippen) gehen müssen.
Gruß Michael
Taraxacum glauciniforme Dahlst. (Erythrosperma) - neu für Deutschland
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Taraxacum glauciniforme Dahlst. (Erythrosperma) - neu für Deutschland
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Re: Taraxacum glauciniforme Dahlst. (Erythrosperma) - neu für Deutschland
Hallo Michael,
ein sehr charakteristischer Blattschnitt, der musste irgendwann auffallen! Da hat dein Kollege gut beobachtet und auch gleich den passenden Experten zur Hand
Glückwunsch euch beiden zum Erstnachweis für Deutschland!
Viele Grüße
Peter
ein sehr charakteristischer Blattschnitt, der musste irgendwann auffallen! Da hat dein Kollege gut beobachtet und auch gleich den passenden Experten zur Hand
Glückwunsch euch beiden zum Erstnachweis für Deutschland!
Viele Grüße
Peter
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Re: Taraxacum glauciniforme Dahlst. (Erythrosperma) - neu für Deutschland
Als Experte fühle ich mich noch keinesfalls, ich wate gerade durch den Morast der Aufarbeitung teilweise bereits wieder vergessenen Wissens von mittlerweile verstorbenen tatsächlichen Experten... Gruß Michael