Utricularia tenuicaulis Miki in der Pfalz - neu für Deutschland und erneuter Fahndungsaufruf

Zeigt hier eure Pflanzenbilder, zu denen keine Bestimmung mehr benötigt wird
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Kraichgauer
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Utricularia tenuicaulis Miki in der Pfalz - neu für Deutschland und erneuter Fahndungsaufruf

Beitrag von Kraichgauer »

Hallo zusammen,

wie Bobrov et al. (2022) herausgefunden haben, handelt es sich bei dem, was bisher "Utricularia australis" genannt wurde, um eine sterile Hybride zwischen der in Europa heimischen Utricularia vulgaris und der seltenen, japanischen und bis dato kaum bekannten Art Utricularia tenuicaulis Miki. Die Hybride muss Utricularia ×neglecta heißen, während der Name "australis" ein nomen dubium bleibt und sich auf etwas Australisches bezieht.
Das war schon eine große Überraschung. Diese Resultate sind bereits in der gedruckten Flora Germanica aufgeführt.

Es stellten sich jetzt die Fragen, ob der eine Elter U. tenuicaulis auch in Europa vorkommt, oder ob der Hybrid bereits als "fertiger Hybrid" aus Asien eingeschleppt worden war.
Zumindest die erste Teilfrage konnte beantwortet werden: kurz zuvor hatten die Franzosen eine mysteriöse, sexuelle und fruchtende Sippe aus der Brenne als "Utricularia brennensis Gatignol & Zunino" beschrieben und später auch bis fast zur Schweizer Grenze hin gefunden. Diese Sippe war identisch mit der gesuchten Utricularia tenuicaulis! Der Spezialist für die Gruppe, Andreas Fleischmann, rief daraufhin in seinen Karnivoren-Foren zur Fahndung auch in Deutschland auf und suchte - vergeblich - in den Herbarien danach. U. tenuicaulis schien in Deutschland bisher zu fehlen.
Daraufhin stöberte Stefan Lenßen im Internet nach Photos und fand Photos - ausgerechnet! - auf Flora Germanica, die von Joachim Rheinheimer 2002 bei Mechtersheim in der Vorderpfalz gemacht worden waren. Ich hatte sie immer als Photos einer "besonders schönen U. australis" verwendet. Auf ihnen waren die charakteristischen Merkmale von tenuicaulis bereits zu sehen, wie sie im Artikel von Bobrov et al. 2022 genannt worden waren.
Wir (Andreas Fleischmann, Stefan Lenßen, Dominik und ich) suchten daher 2022 die Populationen bei Mechtersheim in den alten Tongruben auf, an deren Fundort sich gottseidank Joachim Rheinheimer noch erinnern konnte, und zu unserer Freude gibt es dort eine große Population typischer Utricularia tenuicaulis. Die Resultate werden in Kürze in einem Artikel im Pollichia-Kurier veröffentlicht werden, so dass wir jetzt auch "offiziell" darüber reden können.

Wie unterscheidet man die Art von U. ×neglecta ("australis")? Ganz einfach und fast sofort sichtbar: U. tenuicaulis hat einen grünen Stängel, U. ×neglecta dagegen deutliche Rotfärbungen. Der Sporn von U. tenuicaulis ist nach oben gebogen. Die ganze Pflanze ist auffällig starkwüchsig. Der Rand der Blüte ist nicht eingeschnürt/zurückgeschlagen wie bei U. vulgaris, sondern ausgebreitet wie bei ×neglecta.
Und vor allem: U. tenuicaulis ist sexuell und bildet Früchte aus!

Der Fund von 2002 war damit der erste dokumentierte Fund in Europa, obwohl die Art als "brennensis" von den Franzosen bereits seit mindestens 1997 beobachtet wurde. Sie war aber sicherlich auch in Mechtersheim schon früher da - die Teiche bei den Tongruben wurden bereits in den 1970er Jahren angelegt.

Es bleiben natürlich weitere Fragen offen. Eine naheliegende, aber unbewiesene Möglichkeit ist, dass U. tenuicaulis in Europa eingeschleppt wurde, hier mit der heimischen U. vulgaris hybridisierte, und der entstehende, sehr durchsetzungsstarke Hybrid U. ×neglecta fing an, die heimische Art U. vulgaris zu verdrängen, was man ja in den letzten Jahrzehnten fast überall beobachten konnte. Dagegen spricht aber, dass U. ×neglecta schon sehr lange in Mitteleuropa gefunden worden war - schließlich ist die Erstbeschreibung von 1828!
Die andere Möglichkeit ist, dass U. tenuicaulis in Europa tatsächlich heimisch ist, aber eine immer sehr seltene Art blieb.

Deswegen auch die Bitte: haltet die Augen auf und mustert einmal die Euch bekannten Vorkommen von U. ×neglecta ("australis") sowie Eure Photos durch, ob sich darunter auch U. tenuicaulis befindet. Das kann man auf leidlich guten Photos bereits erkennen, aber der Beweis wäre durch Untersuchung der lebenden Population zu erbringen.

Gruß und danke, Michael
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Kraichgauer
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Re: Utricularia tenuicaulis Miki in der Pfalz - neu für Deutschland und erneuter Fahndungsaufruf

Beitrag von Kraichgauer »

Und hier noch Vergleichsbilder von neglecta - allein schon der rote Stängel ist offensichtlich.
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