Frage an die Lateiner und Lateinerinnen hier im Forum

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Alexander
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Frage an die Lateiner und Lateinerinnen hier im Forum

Beitrag von Alexander »

Hallo miteinander,

ich hab' mal eine Frage an die Lateiner und Lateinerinnen hier im Forum. Es geht um eine Unregelmäßigkeit (?), die mir bei der Ableitung eines Familiennamens von der namensgebenden Gattung aufgefallen ist, die ich mir bisher nicht erklären konnte. Ich hatte nie Latein, und mach das jetzt praktisch autodidaktisch durch.

Gewöhnlich ist es ja so, dass von der namensgebenden Gattung der Suffix gegen die Endung -aceae ausgetauscht wird. So wird beispielsweise aus

Cornus -> Cornaceae
Fagus -> Fagaceae
Equisetum -> Equisetaceae
Campanula -> Campanulaceae
usw ...

Enden Gattungsnamen auf -s (nicht auf -us), wird dem Suffix -aceae ein "d" vorangestellt

Oxalis -> Oxalidaceae
Iris -> Iridaceae
Dryopteris -> Dryopteridaceae
Juglans -> Juglandaceae

Und jetzt zur Ausnahme, falls es denn wirklich eine sein sollte:

Cannabis -> Cannabaceae. Hier "fehlt" nicht nur das dem Suffix -aceae vorangestellte "d", sondern auch das "i" wird unterschlagen. Nach dem was ich so beobachtet habe und von meinen Beobachtungen ableiten kann, müsste die Familie doch eigentlich "Cannabidaceae" heißen (Die Lateiner und Lateinerinnen mögen mir dieses Unwort verzeihen!)?

Weiß jemand, worin diese Unregelmäßigkeit begründet ist? Gibt es weitere solcher Ausnahmen? Ich freue mich auch sehr über Ausführungen die mir hier vielleicht allgemein weiter helfen könnten.

Grüße
Alexander
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abeja
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Re: Frage an die Lateiner und Lateinerinnen hier im Forum

Beitrag von abeja »

Hallo Alexander,
damit habe ich mich noch nie beschäftigt (sehe normalerweise auch wenig Grund dazu) ...
Die Regeln zur Namensgebung hat man irgendwann mal "entwickelt" und eine Übereinkunft getroffen. Möglicherweise gibt es aber hier und da Abweichungen, wo sich der Namensgeber nicht an diese Übereinkunft gehalten hat.

Wenn man "Cannabidaceae" sucht, findet man auch diesen Namen. Bei Wiki zu den Hanfgewächsen bei "Systematik":
Die gültige Erstveröffentlichung des Familiennamens Cannabaceae erfolgte 1820 durch Ivan Ivanovič Martinov in Tekhno-Botanicheskīĭ Slovar …, S. 99. Die Veröffentlichung von Cannabidaceae durch Stephan Ladislaus Endlicher erfolgte erst 1837 in Genera plantarum secundum ordines naturales disposita. Typusgattung ist Cannabis L.[1]
Als Quelle wird da Tropicos genannt, da stehen zwei Ausrufezeichen vor "Cannabaceae", bedeutet nom.cons. (= nomen conservandum) =
In der botanischen Nomenklatur ist conservation ‚Konservieren‘ ein Verfahren nach Artikel 14 des ICN. Sein Zweck ist es,
“to avoid disadvantageous nomenclatural changes entailed by the strict application of the rules, and especially of the principle of priority […]”
„unvorteilhafte Änderungen der Nomenklatur zu vermeiden, die sich aus der strikten Anwendung der Regeln, insbesondere des Prinzips der Priorität, ergeben würden […]“ – Art. 14.1
So ungefähr jedenfalls ... um das "Chaos" durch zu viele Änderungen zu minimieren.
Mit den "ollen Lateinern" hat das eigentlich nicht viel zu tun ;) .
Viele Grüße von abeja
Kraichgauer
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Re: Frage an die Lateiner und Lateinerinnen hier im Forum

Beitrag von Kraichgauer »

Also zunächst mal ist Wiki keine ernstzunehmende Referenz für solche Dinge, und auch Tropicos nicht, sondern mittlerweile die Namensdatenbank IPNI.

Hier findet man unter https://www.ipni.org/n/77126717-1 in der Tat, dass Cannabaceae Martinov 1820 konserviert wurde, warum auch immer, da müsste man die alten Konservierungsvorgänge (meist in Taxon publiziert) mal exhumieren. Möglicherweise in diesem Fall, weil der Name ursprünglich invalide publiziert war (?fehlende lateinische Definition, man kann ja in der russischen Originalpublikation im beigefügten BHL-Link sehen, dass da kein Latein ist).

Aber dieser Name ist selbst wiederum eine Emendierung des ursprünglich von Martinov benutzten Namens "Cannabinae", die im Zuge der Heraufstufung zur Familie notwendig wurde, weil die Endung "-inae" heutzutage streng für Subtribus verwendet wird und nicht für Familien. Solche Endungs-Änderungen sind bei Rangwechseln von supraspezifischen Namen notwendig. Die Schreibweise Cannabaceae ergibt sich aus dem ursprünglichen Namen Cannabinae.

Nach der erfolgten Konservierung ist dann der spätere Name Cannabidaceae Endl. 1837 ein Synonym geworden, weil basierend auf demselben Typus (Cannabis L.).

Gruß Michael
Alexander
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Re: Frage an die Lateiner und Lateinerinnen hier im Forum

Beitrag von Alexander »

Hallo abeja und Michael,

vielen Dank für eure Antworten.

Eure Begründungen für diese Ausnahme sind für mich zwar nachvollziehbar, vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass die Familienbezeichnung Cannabaceae aufgrund einer taxonomischen Umstellung aus Cannabinae hervorgegangen ist, und nicht aus dem Gattungsnamen Cannabis, doch bei all den taxonomischen bzw. nomenklatorisch Änderungen, den ständigen Umstellungen und Umbenennungen, wundert es mich trotzdem, dass diese Ausnahme immer noch besteht. Eine Vereinheitlichung wäre ja eine Vereinfachung, keine Verkomplizierung. Vermutlich werden aber die Gesetze der Nomenklatur eine solche Änderung nicht zulassen.

Grüße
Alexander
Kraichgauer
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Re: Frage an die Lateiner und Lateinerinnen hier im Forum

Beitrag von Kraichgauer »

Du denkst verkehrtrum. Es sind zwar die Endungen standardisiert, aber nicht der Stamm des Namens. Insofern ist die Bezeichnung Cannabaceae keine Ausnahme, denn es gibt keine einheitliche Regel für die Bildung. Lediglich die Endung "-ceae" für die Familie ist Standard geworden. Obwohl sich die meisten Autoren später an eine einigermaßen einheitliche Bildung gehalten haben, heißt das noch lange nicht, dass es eine Vorschrift gibt bzw. gab.

Gruß Michael
Alexander
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Re: Frage an die Lateiner und Lateinerinnen hier im Forum

Beitrag von Alexander »

Hallo Michael,

danke für die Info. Du hast mir damit fruchtlose Grübeleien erspart :)

Grüße
Alexander
Kraichgauer
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Re: Frage an die Lateiner und Lateinerinnen hier im Forum

Beitrag von Kraichgauer »

Viel blöder finde ich den Fall, dass eine Familie nach einer Gattung heißt, die mittlerweile in den Orkus der Synonyme gewandert ist. Aber auch das ist nicht mehr korrigierbar.
Paradebeispiele sind die Lentibulariaceae, da gibt es keine gültige Gattung "Lentibularia" mehr drin. Aber Lentibulariaceae ist gültig, nicht etwa Utriculariaceae. Außerdem die Familie Lowiaceae mit der einzigen Gattung Orchidantha...
Ich glaube, so was gibt es noch öfters, aber mir fallen die Beispiele gerade nicht ein.

Gruß Michael
hegau
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Re: Frage an die Lateiner und Lateinerinnen hier im Forum

Beitrag von hegau »

Es ist wohl so, dass die Endung (z.B. 'aceae' für Familien) an den Wortstamm des zugrundeliegenden lateinischen Gattungsnamens angehängt wird.
Der Wortstamm entspricht stets dem Genitiv Singular ohne Endung.

Vokalische Deklination: Nominativ: Fagus, Genitiv: Fag-i, Familie: Fag-aceae;
Konsonantische Deklination: Nominativ: Aster, Genitiv aster-is, die Familie deshalb Aster-aceae

Ausnahme: Endung auf -s: Nominativ: Oxalis, Genitiv: Oxalid-is, Familie: Oxalid-aceae (ähnlich bei Iris, Crepis, etc.)

Cannabis scheint eine Ausnahme zu sein, da wohl dem Altgriechischen entlehnt, denn schon bei den alten Römern hieß der Genitiv von Cannabis ebenfalls Cannabis und damit ist der Wortstamm 'Cannab' und die Familie Cannabaceae (siehe z.B.: https://www.frag-caesar.de/lateinwoerte ... ung-2.html).



Sollte ich falsch liegen (mein Latein-Abi liegt auch schon über 30 Jahre zurück, bitte korrigeren)

Gruß Thomas
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