Vorsicht. Die Altvorderen haben ja bekanntlich bei Melampyrum, Odontites, Rhinanthus (aber auch bei Gentianella und Thymus) die infraspezifische Taxonomie "tiefengestaffelt", mit zahllosen Unterarten, Varietäten etc., die teilweise auf Höhenlage (kollin, montan, planar etc.), saisonale Blütezeit (vernal - solstitial - autumnal) etc. zurückgehen sollen. Dieser ganze Namenswirrwarr (bei Soo noch besonders ausgeprägt!) wurde in den letzten Jahren dramatisch gelichtet, und die meisten derartigen Taxa werden nicht mehr anerkannt. Das führt zu ellenlangen Synonymielisten (siehe u.a. Buttler-Liste). Darüberhinaus ist der Rang der Subspezies denkbar ungeeignet, ich denke, man sollte allenfalls von Varietäten, wenn nicht nur von Formen reden. Die Kategorie des "Ökotypus" gibt es ja taxo-offiziell nicht, sondern nur im informellen Sprech.
Es gibt aber vor allem im östlichen und südöstlichen Mitteleuropa noch zahlreiche weitere früher auf Artrang anerkannte, eher schwach getrennte Taxa, deren Status genauso fraglich ist, aber bei denen sich - wohl mangels von Belegen und Experten - bisher noch keiner die Mühe gemacht hat, ihre Artberechtigung zu überprüfen. Praktisch alle davon sind zu entsprechenden Zeiten auch schon mal als Unterarten oder Varietäten geführt worden. Ein solcher Fall scheint mir bei polonicum ebenfalls vorzuliegen. Die Tschechen haben ihn wohl in die Gruppe der schwach getrennten, vernachlässigbaren Formen eingestuft und dann war ihnen egal, was außerhalb von Tschechien passiert.
Manchmal habe ich auch den Eindruck, dass aus Nationalstolz solche Arten bewusst "hochgehalten" werden. Bei den Russen war ja die Artensplitterei quasi staatlich vorgegeben.
Morphologisch kann man viele dieser Formen sehr wohl trennen, wenn man sich Mühe gibt. Die Frage ist bloß, was man mit ihnen macht. Ich erinnere nur z. B. an Rhinanthus serotinus, der eine Zeitlang in Deutschland in über ein Dutzend "Subspezies" getrennt war. Oder den altbekannten, auch hier schon öfters diskutierten Fall Melampyrum commutatum - pratense.
Die Buttler-Liste macht es sich einfach, indem sie alles synonymisiert und nur durch die Gruppierung der Synonyme und Unterstreichung der früheren Haupt-Unterarten die Gruppierung auf informelle Weise sichtbar macht.
Ich gestehe, ich habe bei WorldPlants etwas geschlampt und einen Teil noch als "subspecies" stehen lassen und einen Teil als "Varietäten" behandelt, aber deutlich mehr anerkannt als die Buttler-Liste. Oft fehlen auch die entsprechenden Kombinationen.
Die alten "Engler-Zeit"-Arbeiten leiden übrigens alle an der Übersplitterei. Deshalb ist es wenig zielführend, die alten Papiere hervorzukramen.
Ich würde mich nicht wundern, wenn polonicum nicht eine weitere dieser morphologisch unterscheidbaren, aber taxonomisch nicht sinnvoll trennbaren Formen wäre, in diesem Fall unterhalb von nemorosum. Der gute Herr Jentzsch hatte wohl beschlossen, ihn anerkennen zu wollen, weil er ihn unterscheiden konnte.
Bemerkenswerterweise hat sogar Tzvelev, einer der schlimmsten Splitter, ihn nur als "Melampyrum nemorosum subsp. polonicum (Beauverd) Tzvelev" eingestuft. Das sollte einem zu denken geben. Der beste Status wäre wohl "Melampyrum nemorosum var. polonicum Beauverd".
Übrigens historisch auch: Behr, E. (1954): Das Vorkommen von Melampyrum polonicum (Beauv.) Soo in der Lausitz - Abhandlungen und Berichte des Naturkundemuseums - Forschungsstelle Görlitz 34(1):
https://www.senckenberg.de/wp-content/u ... hrE.-1.pdf, darin zahlreiche Lokalitäten und morphologische Unterscheidung.
Bemerkenswerterweise wollte der gleiche Ernst Behr auch die südöstliche Melampyrum nemorosum subsp. silesiacum Ronn. in der Lausitz gefunden haben, und zwar im Gutspark Klinge, wo er auch polonicum gefunden hatte. Das ist schon verdächtig.
Gruß Michael