Warum Epilobien so schwer zu bestimmen sind

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Anagallis
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Warum Epilobien so schwer zu bestimmen sind

Beitrag von Anagallis »

Jede die es versucht hat, ist wohl an der Gattung Epilobium schon verzweifelt. Ein Grund dafür ist: Je älter die Pflanzen werden, desto ähnlicher werden sie sich. Die folgende Fotoserie vom 1.8.2022 - nach langer Dürre - stützt diese These. Alle abgebildeten Pflanzen wachsen im Garten.

Altes Epilobium lanceolatum. Im Blütenstand wachsen lauter kaum unterscheidbare Miniblätter:
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Epilobium duriaei
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Epilobium tetragonum: Immerhin erkennt man noch die dichte Blattzähnung.
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Epilobium lamyi sieht genauso aus
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Epilobium collinum: Dieses Jahr halb vertrocknet, aber das ist _eigentlich_ die Art, von dem man diese kleinen Blätter erwartet.
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Epilobium lanceolatum x parviflorum: Unten behaart wie parviflorum, oben lanceolatum-Blätter
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Epilobium spec.: Ein undefinierbarer lanceolatum-Hybrid (stark wüchsig und verzweigt mit tauben Früchte)
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Epilobium lanceolatum x montanum: Unten montanum-Blätter, oben lanceolatum-Blätter.
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Epilobium parviflorum: Ein Ausschnitt aus dem Blütestand.
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Dominik
Marlies
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Re: Warum Epilobien so schwer zu bestimmen sind

Beitrag von Marlies »

Besten Dank für den Beitrag. Mich würde interessieren, wie du zu den Art- bzw. Hybridbestimmungen gekommen bist. Hast du genetische Untersuchungen machen lassen oder hast du auf deine jahrelangen Erfahrungen mit der Gattung gebaut?
In meinen brandenburgischen Feuchtgebieten werde ich schon nervös, wenn ein Epilobium mal nicht hirsutum ist.
(Das Bild 1866 steht kopf.)
Marlies
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Anagallis
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Re: Warum Epilobien so schwer zu bestimmen sind

Beitrag von Anagallis »

Bei den Arten weiß ich natürlich, was wo im Garten steht. Die Hybriden sind ein bischen geschummelt: E. lanceolatum x montanum steht einfach direkt zwischen den Eltern, und der andere Hybrid auf der anderen Seite von E. lanceolatum.

Insgesamt ist bei Epilobium eine sichere Artansprache nicht so schwer, wenn man die Merkmale sehr gut kennt. Es geht halt kaum nach Habitus sondern nach Details, die man oft nur mit der Lupe sieht. Hier eine unvollständige Liste der Merkmale auf die ich achte:

lamyi+tetragonum: Ganz typischer, einzigartiger Habitus. Typische Rotfärbung. Typische Blattform. Sehr lange Früchte. Samenoberfläche.
lamyi: Oberwärts helle Graufärbung. Blattrand und Mittelrippe kräuselig behaart. Blätter kurz gestielt.
ciliatum+roseum: Stengel im Blütenstand drüsig. Blattstiel. Samenoberfläche und -form.
roseum: Blüten klein, zuerst weiß. Samenoberfläche nicht gestreift.
parviflorum+hirsutum: Charakteristische Stengelbehaarung. Stengel oben drüsig.
hirsutum: Dicke, lange Ausläufer. Die Hydathode an der Blattspitze ist zu einer braunen, trockenen Schuppe verkümmert.
palustre: Blattrand umgerollt (ebenso bei Hybriden).
brachycarpum: Trivial.
angustifolium: Trivial.
dodonaei+fleischeri: Nach Blättern.
anagallidifolium+alsinifolium+nutans: Die sind die Pest. Am Feldberg wachsen alle drei und sind kaum auseinander zu halten. In den Alpen ist es viel leichter. Ausläufer. Blattbeschaffenheit. Samen.
montanum: Blattform und -Größe. Blüht sehr früh. Stengel kraus behaart und oben drüsig.
collinum: Typischer Wuchs wie ein Zwergstrauch. Wenn nicht typisch, dann sehr schwierig.
duriaei: Knallrote Ausläufer. Sehr schwer von montanum zu unterscheiden. An den Naturstandorten mit Hybriden zwischen den beiden Arten.
obscurum: Standort (im Wasser). Sehr dünne und lange Ausläufer.
brunnescens: Erloschen. Habitus (aber sehr ähnlich zu pedunculare).
Hybriden: Auffällige Kombination der Merkmale zweier Arten.

Das heißt, ich gucke überhaupt nicht auf die Blüten oder nur en passant zur Vorsortierung. Junge Pflanzen sind besser unterscheidbar als alte. Am charakteristischen sind eigentlich die Rosetten.
Dominik
Marlies
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Re: Warum Epilobien so schwer zu bestimmen sind

Beitrag von Marlies »

Ich liebe ja solche Schnellindikatoren und werde gleich ein Lesezeichen setzen. Einige Arten gibt es in BB gar nicht, worüber ich ausnahmsweise mal froh bin.
(Das mit den Gartenpflanzen hatte ich falsch verstanden. Ich dachte, du hättest sie kultiviert, weil du draußen nicht sicher warst.)
Marlies
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Anagallis
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Re: Warum Epilobien so schwer zu bestimmen sind

Beitrag von Anagallis »

Ach so; das ist zum Studium, um immer frisches Vergleichsmaterial zur Hand zu haben und aus Freude an den Pflanzen. Ich mag die Gattung. Die Alpenarten (alsinifolium+fleischeri+anagallidifolium+nutans+alpestre) zicken in Kultur ziemlich rum. Soll heißen, sie gehen sofort ein, jedenfalls mit dem Aufwand, den ich treibe. obscurum ist auch nicht einfach. wahrscheinlich ist denen in wassergefüllten Töpfen mit stehendem Wasser bei 40 Grad im Schatten einfach zu warm.
Dominik
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Anagallis
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Re: Warum Epilobien so schwer zu bestimmen sind

Beitrag von Anagallis »

Anagallis hat geschrieben: Di Aug 02, 2022 11:05 pm hirsutum: ... Die Hydathode an der Blattspitze ist zu einer braunen, trockenen Schuppe verkümmert.
Das taugt zur vegetativen Abgrenzung von E. hirsutum/parviflorum:
(Ggf. mehrere Blätter prüfen, die Schuppe bricht leicht ab.)
Dateianhänge
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Dominik
Marlies
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Re: Warum Epilobien so schwer zu bestimmen sind

Beitrag von Marlies »

Stichwort E. parviflorum: An dessen Blüten fiel mir mehrfach auf, dass die Narbe etwas indifferent ist. Längst nicht so deutlich 4spaltig wie bei E. hirsutum. Wann ist die Narbe denn nun "voll entwickelt" (Flora-de)? Meine Pflanzen waren z.T. schon am Verblühen.
Marlies
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Anagallis
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Re: Warum Epilobien so schwer zu bestimmen sind

Beitrag von Anagallis »

Die sich nicht oder nur zögerlich aufspaltenden Narbenlappen sind ein Zeichen für hybridogenen Einfluß mit einer der Arten mit ungeteilter Narbe.
Dominik
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Anagallis
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Re: Warum Epilobien so schwer zu bestimmen sind

Beitrag von Anagallis »

Es sind um die 50 Hybriden zwischen den europäischen Arten beschrieben. Laut STACE und Flora Nordica (der Band mit Epilobium steht irgendwo im Netz) sind die Hybriden meist zu 5-10% fertil (d.h. dieser Anteil nicht tauber Samen bildet sich), bei manchen Hybriden entwickeln sich aber 90-95% fruchtbare Samen. Auch wenn mir dazu kein Papier bekannt ist, würde es mich nicht wundern, wenn sich die Hybriden wieder in die reinen Arten einkreuzen können.
Dominik
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Anagallis
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Re: Warum Epilobien so schwer zu bestimmen sind

Beitrag von Anagallis »

Anagallis hat geschrieben: Di Aug 02, 2022 11:05 pm hirsutum: ... Die Hydathode an der Blattspitze ist zu einer braunen, trockenen Schuppe verkümmert.
Aus aktuellem Anlaß: So trocken, wie es gerade ist, kann die Blattpitze von E. parviflorum auch vertrocknet und nach unten gekrümmt sein. Es geht hier aber um die aufgesetzte Schuppe auf der Blattspitze. Normalerweise funktioniert das gut, im Moment muß man genau hingucken.
Dominik
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