Forum Flora Germanica

Hallo,
wenn man in die Verbreitungskarten schaut, dann ist die Tollkirsche (Atropa belladonna) hier im Süden ja nicht wirklich rar, überall gemeldet - aber eben auch nicht häufig, meiner Meinung nach.
Ich sah sie zum letzten Mal irgendwann in der Kindheit, irgendwo im Urlaub.
Hier in meinem Umfeld passt eigentlich alles: kalkhaltiger Boden, Waldränder, nährstoffreiche Lichtungen usw., trotzdem nie gesehen ... (???)

Dieser Fund hier an einer lichten Wegkreuzung im Wald, direkt neben einer Bank zeigte im Mai eine stattliche Größe, fast 2 m.
Die Blüten waren noch geschlossen. Kurz darauf war ich wieder dort, fotografierte auch eine Blüte, leider habe ich das Foto irgendwann versehentlich auf dem Kamerachip gelöscht, ohne es übertragen zu haben.

Im August wollte ich mir die Früchte anschauen und fotografieren. Da fand ich die Pflanze (oder Pflanzen - ich dachte, es wären 2 oder 3) gar nicht!
Plötzlich fiel mir nur ein daniederliegender lila "Knüppel" auf, daran ein paar sehr zernagte, relativ kleine Blätter - und auch ein paar Früchte.
Neigen diese Pflanzen zum "Umfallen" - oder wurde da nachgeholfen?

Ich suchte nach "Lochverursachern".
Es soll ja einen Blattkäfer geben, der ausschließlich an Tollkirsche frisst - Altica atropa, doch diese Art sah ich nicht.
Dafür krabbelte da ein wunderschöner Kartoffelkäfer, Leptinotarsa decemlineata, der neben Kartoffeln auch andere Nachtschattengewächse "gerne mag", darunter auch die Tollkirsche. Das war mir neu.

Also zum Stängel kann ich nichts sagen, das könnte normaler Schneckenfraß sein. Schnecken sind da recht schmerzfrei.

Tollkirsche hat normalerweise in den Blättern kleine, runde, schrotschussartige Löcher, die sieht man auch in Deiner zweiten Bilderserie. Dafür verantwortlich ist der Tollkirschen-Erdfloh (Epitrix atropae - der Name Altica atropae ist veraltet), ein kleiner, dunkelbrauner, fast monophager Blattkäfer. Im Extremfall sieht das dann aus wie hier (Bilder aus unseren "Blattkäfer Baden-Württembergs"). Die Löcher kommen nur (!) von den Imagines - die Larven leben an den Wurzeln. Wenn es viele sind, dann fallen die Stängel darüber einfach um, weil der Wurzelstock vermodert.
Dass Du Epitrix nicht gesehen hast, wundert mich nicht. Die sind nicht nur sehr klein, sondern können auch hervorragend springen und "verduften" außerordentlich schnell mit weiten Sprüngen. Sammeln erfordert spezielle Techniken (Käschern).

Die größeren Löcher in den Blättern: können mehrere Verursacher sein, auch Kleinschmetterlinge (wie bei Hyoscyamus) und Minierer. Die ganze Vielfalt sieht man auf https://bladmineerders.nl/host-plants/p ... a/?lang=nl.

Gruß Michael

Und noch ein bisschen Reklame: sollte noch jemand an den "Blattkäfern Baden-Württembergs" interessiert sein, muss er sich beeilen. Ich habe die letzten Kisten gerade an Bioform ausgeliefert, das sind die letzten Exemplare. Nachgedruckt wird nicht mehr...

Gruß Michael

abeja hat geschrieben: ↑So Sep 10, 2023 8:15 pmleider habe ich das Foto irgendwann versehentlich auf dem Kamerachip gelöscht, ohne es übertragen zu haben.

Dafür gibt es Hilfsprogramme, die gelöschte Dateien wiederherstellen können, wenn die Daten noch nicht berschrieben wurden. Nur die Dateinamen sind verloren. Suche mal nach "undelete sdcard" im Netz. (Funktioniert genauso für USB-Stäbchen und andere Medien, auf denen ein DOS-Dateisystem drauf ist.)

Auf Linux funktioniert "testdisk" gut. Das soll es auch für andere Betriebssysteme geben.

Danke für die vielen Infos!

Hallo Michael,
dann könnte das Umfallen doch auch hier vom Larvenfraß an den Wurzeln kommen? Ich habe nicht genau geschaut, erst hinterher gelesen, dass Atropa eine sehr lange Wurzel haben sollte, hier sah das aber (fast) abgelöst aus bzw. als wäre da gar nichts.
Mit Schneckenfraß meintest du die hellen Flecken in der violetten Oberfläche des Stängels? Das hatte ich als "Aufreißen" (so ähnlich wie bei der Borke von Gehölzen) interpretiert.


Hallo Dominik, dass es solche Programme gibt, war mir bekannt - brauchte ich bisher nur noch nicht. Hier wird aber nichts mehr wiederherzustellen sein, da überschrieben. Ich hatte keine Ersatz-Karte dabei, wollte fotografieren und habe einige der ersten Bilder auf der Karte gelöscht, um überhaupt etwas Platz zu haben. (Normalerweise werden die Fotos zeitnah übertragen und gesichert , doch hier muss ich etwas beim Überspielen ausgelassen haben.)

abeja hat geschrieben: ↑So Sep 10, 2023 9:09 pm dann könnte das Umfallen doch auch hier vom Larvenfraß an den Wurzeln kommen?

Die Art ist ja einjährig - auch wenn sie zu den Einjährigen mit dem größten Wuchs hierzulande gehört. Irgendwann fällt sie im Herbst halt mal um, aus welchen Gründen auch immer. Der Larvenfraß an den Wurzeln kann eine von vielen Ursachen sein.
Meine Stockrosen und Thüringer Eibische im Garten werden durch Blattkäfer-Larven in den Wurzelstöcken regelmäßig vernichtet, leider.

abeja hat geschrieben: ↑So Sep 10, 2023 9:09 pm Mit Schneckenfraß meintest du die hellen Flecken in der violetten Oberfläche des Stängels? Das hatte ich als "Aufreißen" (so ähnlich wie bei der Borke von Gehölzen) interpretiert.

Auch möglich, wird sich kaum mehr beweisen lassen. Oder schlicht und einfach ein alter, innerlich verdorrter Stängel, der schrumpft.

Gruß Michael

Zum Thema Wirtspflanzen von Leptinotarsa noch ein Auszug aus den "Blattkäfern":
"... Andere Gattungen der Solanaceae, z. B. Bilsenkraut (Hyoscyamus) werden nur im Ausnahmefall befressen. Wo der Gelbbeerige Nachtschatten (Solanum villosum Mill.) wächst, wird dieser bevorzugt mit Eiern belegt, weil seine flüchtigen Inhaltsstoffe besonders attraktiv für die Weibchen sind. Dies hat allerdings fatale Auswirkungen, weil S. villosum für die Larven toxisch ist (Selman 1994)."
Es gibt also auch "Fehlwirtspflanzen" für Leptinotarsa. Wenn seine Larven wirklich an Atropa leben könnten, dann wäre die Art öfters daran zu finden (zumal die auffälligen Larven oberirdisch exophag leben, wie man ja von den Kartoffelpflanzen kennt). Darüber gibt es aber keinerlei Berichte bei dieser extrem gut untersuchten Art.

Gruß Michael

Man findet aber einige Textstellen im Web zu Tollkirsche/ Kartoffelkäfer (auch mit wissenschaftlichen Namen).
Ein Fehlwirt scheint das nicht zu sein.

Hier wurden allerdings keine Larven gesehen, sondern Käfer im späten Sommer, im Wald, weit weg vom Kartoffelanbau (wie bei meinem Fund).
https://www.zobodat.at/pdf/Braunau_10_0325-0326.pdf

Hier steht, ein bedeutender Schädling an Atropa-Kulturen sei der Kartoffelkäfer. (Quelle fraglich?)
https://www.kraeuterabc.de/kraeuter/tollkirsche/

Bei bladmineerders.nl. kann man ja auch nach Insekt sortieren. Da ist die Tollkirsche beim Käfer genannt (nicht bei "less often").
https://bladmineerders.nl/parasites/ani ... emlineata/

Na ja, das sind Sekundärquellen, bis auf den Artikel von Reichholf. Wie ungewöhnlich das ist, zeigt ja, dass Reichholf extra einen Artikel darüber schrieb. Die Imagines fressen wohl auch an Atropa, wenn es keine Solanum mehr gibt und einer sich mal in den Wald verirrt.
Aber in der ernstzunehmenden Primärliteratur über Blattkäfer habe ich bisher noch keine Berichte über Larven (!) an Atropa gesehen.

Gruß Michael