Melampyrum nemorosum/polonicum? Lettland

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Anagallis
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Re: Melampyrum nemorosum/polonicum? Lettland

Beitrag von Anagallis »

Ach, ist ja witzig. Weil die Art im Rothmaler drin ist, wird sie östlich Berlins immer mal wieder "gefunden". Der übliche Effekt, daß seltene Arten plötzlich überall gemeldet werden, sobald sie im Schlüssel stehen. Daß GBIF nix taugt ist ja nicht neu. Aber woher nimmt Floraweb die Atlasdaten?

Ich würde da mal lieber der lokalen Datenbank glauben, die nichtmal das Taxon in der Suchmaske kennt.

https://daten.flora-bb.de/species
Dominik
Kraichgauer
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Re: Melampyrum nemorosum/polonicum? Lettland

Beitrag von Kraichgauer »

Der Fall ist insofern einfach, als die Art in der normalerweise exzellent recherchierten und nur mit glaubwürdigen Daten hinterlegten Buttler-Liste als "Melampyrum polonicum (Beauverd) Soó 1927 − ? / BB?" steht.
Ich habe mich in solchen Fällen an die Buttler-Liste gehalten und diejenigen, die nur mit Fragezeichen aufgeführt sind, komplett aus FG (online und gedruckt) rausgelassen. Nur in wenigen begründeten Fällen sind solche Arten in "grünen Kästchen" erwähnt. Sonst artet alles ins Uferlose aus.

In der Tat hatte ich, weil Buttler-Liste nur mit "?", die Verbreitungskarte in Floraweb nicht konsultiert (übrigens ist auch keine im gedruckten Verbreitungsatlas drin). Daher ist mir der Fall, dass da etliche Punkte als "bestätigt" drinstehen, auch nie aufgefallen. So was kann schon mal vorkommen, da die Floraweb-Karten ja selber ein Aggregat von Hunderttausenden oder Millionen von Daten sind.

Wenn man jetzt speziell dieser Art nachrecherchieren wollte, müsste man mal mit Rätzel und Ristow reden, die sind im Zweifelsfall die besten Ansprechpartner dafür. Kann ich gerne machen.

Gruß Michael
Svampskogen
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Re: Melampyrum nemorosum/polonicum? Lettland

Beitrag von Svampskogen »

Danke Michael für deine Erläuterungen zur Flora Germanica. Das ist ja sehr verständlich, dass man hier nicht jede unsichere Art aufführen kann.
Natürlich wäre es aber schon sehr interessant, mehr zur möglichen Existenz dieser Art auch in Deutschland zu erfahren... in dieser Publikation werden auch einige Fundpunkte aus Ostdeutschland genannt:

https://www.senckenberg.de/wp-content/u ... hrE.-1.pdf
Kraichgauer
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Re: Melampyrum nemorosum/polonicum? Lettland

Beitrag von Kraichgauer »

Hier die ersten beiden Antworten der lokalen Experten, die das Problem eher vertiefen:

Michael Ristow schreibt:
"das Problem liegt darin, dass M. polonicum ein eher dubioses Taxon ist.
Wenn ich mich recht erinnere, habe die Tschechen sich vor einigen Jahren intensiver mit der Gruppe beschäftigt und einen höheren Wert derartiger Sippen verworfen. Allerdings hab ich die Sippe (und ihren möglichen Werdegang) in den letzten Jahren aus den Augen gelassen.
Werde mal schauen, ob es neue Untersuchungen dazu gibt..."

Volker Kummer schreibt:
"ich kann mich erinnern, dass wir seinerzeit bei der Erstellung der Spreewald-Flora auch mit diesem Problem konfrontiert waren, gab es doch M. polonicum-Angaben durch H. Jentsch. Wir konnten damals im Rahmen unserer Möglichkeiten den Sachverhalt nicht klären und haben deshalb die Kelchmerkmale des Lehnigksberger Beleges (b. Lübben) – es war der einzige uns von H. Jentsch zur Verfügung gestellte Beleg – in der Spreewald-Flora (S. 251) aufgeführt. Dies erfolgte unter M. nemorosum mit dem Hinweis, dass es Belege mit M. polonicum-Verdacht gibt.
Ich selbst kenne die Sippe nicht, habe auch nie darauf geachtet.
Sollte es neuere Erkenntnisse geben, wäre ich an diesen interessiert."

D.h. das müsstet Ihr im Osten selber durch gründliche Recherche zu klären versuchen. Von hier aus kann ich das nicht aufrollen.
Jedenfalls kann ich nachvollziehen, warum Ralf Hand in der Buttler-Liste die Art für D unter Fragezeichen stellt.

Gruß Michael
Svampskogen
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Re: Melampyrum nemorosum/polonicum? Lettland

Beitrag von Svampskogen »

Das ist ja sehr interessant... Auf jeden Fall scheint es nachvollziehbar, dass der Artwert von M. polonicum umstritten ist (ev. eher Unterart oder Varietät?, aber hierfür wären genetische Untersuchungen bestimmt hilfreich). Die Kelchbehaarung ist irgendwie schon ein eher mageres Merkmal....
Auf PLADIAS steht noch ungefähr, dass M. polonicum nicht aus Tschechien bekannt ist und auch, dass der Artwert etwas umstritten sein soll.
https://pladias.cz/en/taxon/flora/Melam ... osum%20agg.
Svampskogen
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Re: Melampyrum nemorosum/polonicum? Lettland

Beitrag von Svampskogen »

Bin auch gespannt, ob Michael Ristow hier neuere Untersuchungen zur Artengruppe findet!
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Anagallis
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Re: Melampyrum nemorosum/polonicum? Lettland

Beitrag von Anagallis »

Wäre auch schön, wenn man wenigstens die alten Papiere fände. In "Feddes Repertorium" soll in den Bänden 23 und 24 (1927, 1928) eine "Systematische Monographie der Gattung Melampyrum" von Soó in verschiedenen Versionen enthalten sein. Im Onlinearchiv des Verlags fehlen diese Seiten aber komplett.
Dominik
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Re: Melampyrum nemorosum/polonicum? Lettland

Beitrag von Kraichgauer »

Vorsicht. Die Altvorderen haben ja bekanntlich bei Melampyrum, Odontites, Rhinanthus (aber auch bei Gentianella und Thymus) die infraspezifische Taxonomie "tiefengestaffelt", mit zahllosen Unterarten, Varietäten etc., die teilweise auf Höhenlage (kollin, montan, planar etc.), saisonale Blütezeit (vernal - solstitial - autumnal) etc. zurückgehen sollen. Dieser ganze Namenswirrwarr (bei Soo noch besonders ausgeprägt!) wurde in den letzten Jahren dramatisch gelichtet, und die meisten derartigen Taxa werden nicht mehr anerkannt. Das führt zu ellenlangen Synonymielisten (siehe u.a. Buttler-Liste). Darüberhinaus ist der Rang der Subspezies denkbar ungeeignet, ich denke, man sollte allenfalls von Varietäten, wenn nicht nur von Formen reden. Die Kategorie des "Ökotypus" gibt es ja taxo-offiziell nicht, sondern nur im informellen Sprech.

Es gibt aber vor allem im östlichen und südöstlichen Mitteleuropa noch zahlreiche weitere früher auf Artrang anerkannte, eher schwach getrennte Taxa, deren Status genauso fraglich ist, aber bei denen sich - wohl mangels von Belegen und Experten - bisher noch keiner die Mühe gemacht hat, ihre Artberechtigung zu überprüfen. Praktisch alle davon sind zu entsprechenden Zeiten auch schon mal als Unterarten oder Varietäten geführt worden. Ein solcher Fall scheint mir bei polonicum ebenfalls vorzuliegen. Die Tschechen haben ihn wohl in die Gruppe der schwach getrennten, vernachlässigbaren Formen eingestuft und dann war ihnen egal, was außerhalb von Tschechien passiert.
Manchmal habe ich auch den Eindruck, dass aus Nationalstolz solche Arten bewusst "hochgehalten" werden. Bei den Russen war ja die Artensplitterei quasi staatlich vorgegeben.

Morphologisch kann man viele dieser Formen sehr wohl trennen, wenn man sich Mühe gibt. Die Frage ist bloß, was man mit ihnen macht. Ich erinnere nur z. B. an Rhinanthus serotinus, der eine Zeitlang in Deutschland in über ein Dutzend "Subspezies" getrennt war. Oder den altbekannten, auch hier schon öfters diskutierten Fall Melampyrum commutatum - pratense.
Die Buttler-Liste macht es sich einfach, indem sie alles synonymisiert und nur durch die Gruppierung der Synonyme und Unterstreichung der früheren Haupt-Unterarten die Gruppierung auf informelle Weise sichtbar macht.
Ich gestehe, ich habe bei WorldPlants etwas geschlampt und einen Teil noch als "subspecies" stehen lassen und einen Teil als "Varietäten" behandelt, aber deutlich mehr anerkannt als die Buttler-Liste. Oft fehlen auch die entsprechenden Kombinationen.

Die alten "Engler-Zeit"-Arbeiten leiden übrigens alle an der Übersplitterei. Deshalb ist es wenig zielführend, die alten Papiere hervorzukramen.

Ich würde mich nicht wundern, wenn polonicum nicht eine weitere dieser morphologisch unterscheidbaren, aber taxonomisch nicht sinnvoll trennbaren Formen wäre, in diesem Fall unterhalb von nemorosum. Der gute Herr Jentzsch hatte wohl beschlossen, ihn anerkennen zu wollen, weil er ihn unterscheiden konnte.
Bemerkenswerterweise hat sogar Tzvelev, einer der schlimmsten Splitter, ihn nur als "Melampyrum nemorosum subsp. polonicum (Beauverd) Tzvelev" eingestuft. Das sollte einem zu denken geben. Der beste Status wäre wohl "Melampyrum nemorosum var. polonicum Beauverd".

Übrigens historisch auch: Behr, E. (1954): Das Vorkommen von Melampyrum polonicum (Beauv.) Soo in der Lausitz - Abhandlungen und Berichte des Naturkundemuseums - Forschungsstelle Görlitz 34(1): https://www.senckenberg.de/wp-content/u ... hrE.-1.pdf, darin zahlreiche Lokalitäten und morphologische Unterscheidung.
Bemerkenswerterweise wollte der gleiche Ernst Behr auch die südöstliche Melampyrum nemorosum subsp. silesiacum Ronn. in der Lausitz gefunden haben, und zwar im Gutspark Klinge, wo er auch polonicum gefunden hatte. Das ist schon verdächtig.

Gruß Michael
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Anagallis
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Re: Melampyrum nemorosum/polonicum? Lettland

Beitrag von Anagallis »

Vor allem ging es mir darum im Soó-Papier nach dem Ursprung der Angabe für Deutschland zu fahnden. In der Flora Europaea steht bereits "?Ge" drin. Irgendwann zwischen 1927 und 1972 muß also diese Angabe aufgekommen sein.
Dominik
Kraichgauer
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Re: Melampyrum nemorosum/polonicum? Lettland

Beitrag von Kraichgauer »

Das steht alles in dem Behr-Papier (siehe Link oben). Der soll laut eigenem Claim der Erstmelder gewesen sein (zuerst 1950). Siehe auch https://www.senckenberg.de/wp-content/u ... tzerM..pdf. Insofern ist im Soó-Paper noch nichts für Ge drin. Gruß Michael
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