Melampyrum nemorosum/polonicum? Lettland

Bestimmungsanfragen für europäische Wildpflanzen.
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Manfrid
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Re: Melampyrum nemorosum/polonicum? Lettland

Beitrag von Manfrid »

Kraichgauer hat geschrieben: Fr Sep 22, 2023 2:30 pmDie Altvorderen haben ja bekanntlich... die infraspezifische Taxonomie "tiefengestaffelt", mit zahllosen Unterarten, Varietäten etc., die teilweise auf Höhenlage (kollin, montan, planar etc.), saisonale Blütezeit (vernal - solstitial - autumnal) etc. zurückgehen sollen... Die Kategorie des "Ökotypus" gibt es ja taxo-offiziell nicht, sondern nur im informellen Sprech...
Morphologisch kann man viele dieser Formen sehr wohl trennen, wenn man sich Mühe gibt. Die Frage ist bloß, was man mit ihnen macht...
Die alten "Engler-Zeit"-Arbeiten leiden übrigens alle an der Übersplitterei.
Svampskogen hat geschrieben: Fr Sep 22, 2023 2:00 pmhierfür wären genetische Untersuchungen bestimmt hilfreich
Das Dumme an den Englerzeit-Arbeiten ist einfach, dass sich Leute für die aufgeführten Unterscheidungskriterien interessieren, weil sie auch mit der Winterhärte, Kreuzungswahrscheinlichkeit, Schwermetallverträglichkeit etc. pp. zusammenhängen. Außerdem können diese Leute "viele dieser Formen sehr wohl trennen", also mitdenken. Das gibt bloß ernsthafte Kontroversen. Zumindest unterschiedliche Zuordnungen je nach gerade relevantem Gesichtspunkt. Bestes Gegenmittel: "genetische" Untersuchungen. Die imponieren durch hightech und den Anspruch, auf die wahren Ursachen alles Übrigen zurückzugehen, schneiden den Zugang zu den alten Schwarten (durch Umbenennungen) ab und erziehen zum Vertrauen in die Fachpäpste. Und wenn die sich mal kabbeln, hat man noch was zum Sich-Engagieren und Glänzen mit schlagkräftigen Vokabeln ("taxo-offiziell", "informeller Sprech", "genetischer Mindestabstand"...), rein nach Sympathie - wie beim heimischen Fußballverein. :twisted:
Svampskogen
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Re: Melampyrum nemorosum/polonicum? Lettland

Beitrag von Svampskogen »

Danke für die interessante und umfangreiche Zusammenfassung! Diese weiteren Kleinarten im M. nemorosum-agg. sind mir beispielsweise in der Exkursionsflora für Österreich auch schon aufgefallen! Tatsächlich scheinen sich diese alle sehr ähnlich zu sein und M. polonicum dürfte wohl absolut in die gleiche ‚Kategorie‘ der umstrittenen Taxa gehören…!
Auf jeden Fall lohnt es sich sicher, M. polonicum zumindest als Varietät weiterhin zu trennen (bis neue Untersuchungen verfügbar sind) und bei Gelegenheit alte Angaben dieses Taxons in Ostdeutschland mal zu überprüfen!
Kraichgauer
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Re: Melampyrum nemorosum/polonicum? Lettland

Beitrag von Kraichgauer »

Manfrid hat geschrieben: Fr Sep 22, 2023 6:15 pm Glänzen mit schlagkräftigen Vokabeln ("taxo-offiziell", "informeller Sprech"), rein nach Sympathie - wie beim heimischen Fußballverein.
Du hast meine Ironie(n) offensichtlich ziemlich gründlich missverstanden. Vielleicht muss ich künftig für manche Leser noch ein Smiley dazutun oder "Ironie on" schreiben. Gruß Michael
Svampskogen
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Re: Melampyrum nemorosum/polonicum? Lettland

Beitrag von Svampskogen »

Naja genetische Untersuchungen können sicherlich auch nützlich sein, insbesondere wenn unklar ist, wie stark ein morphologisches Merkmal (z.B. Kelchbehaarung innerhalb des M. nemorosum-agg.) nun bewertet werden soll. Ev. ist ja nur ein einziges Allel für diese Unterschiede verantwortlich und dann wäre wohl nicht mal eine Unterscheidung als Varietät angebracht.
Aber klar, ich bin häufig überhaupt nicht 100% mit der Interpretation der genetischen Daten oder der Ploidie in wissenschaftlichen Papers einverstanden!
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botanix
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Re: Melampyrum nemorosum/polonicum? Lettland

Beitrag von botanix »

Hallo,

mich würde mal interessieren, was passiert, wenn man zum Beispiel eine vernale Melampyrum/Rhinanthus/Euphrasia-Sippe am Standort einer autumnalen Sippe aussät oder unter gleichen Bedingungen kultiviert. Kommen die Pflanzen dann erst im Herbst zur Blüte? Oder bleiben es vernale Pflanzen? Gibt es dazu Untersuchungen, auch unter Kulturbedingungen? Ist der Blühzeitpunkt fixiert?
Diese saisonalen Sippen müssten doch durch die unterschiedlichen Blühzeiten und teils auch Standorte eine reproduktive Trennung von anderen Sippen haben, deshalb verstehe ich die Herabstufung nicht ganz. Aber auch wenn diese Sippen noch im Genpool der Art mittendrin sind, verlieren wir nicht mit dem Verlust dieser saisonalen Rassen einen Teil der Sippenvariabilität (ökologischen Amplitude) einer Art?
Diese Befürchtung habe ich immer, wenn alles subsummiert wird und dann "ungefährdet" ist.

Gruß
Peter
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Flor_alf
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Re: Melampyrum nemorosum/polonicum? Lettland

Beitrag von Flor_alf »

Hallo zusammen,
bei dieser lebhaften Diskussion möchte ich eine Anmerkungen zu genetischen Untersuchungen machen.

Viele der bisherigen genetischen Untersuchungen basieren auf AFLP Markern. Dabei werden meistens einige wenige hundert Loci auf den Sateliten der Chromosomen untersucht, die aber keine (bekannte) Exprimierung in Merkmalen oder sonst was haben. Das heißt diese Untersuchung beruht nicht auf Genorten, auf denen Selektion einwirkt. Damit lassen sich genetische Distanzen errechnen und daraus ein Stammbaum ableiten. Wie gut der dann die Evolution der untersuchten Art(en) widerspiegelt, ist fraglich. Neuere Methoden wie ddrad beziehen sich auf wirklich exprimierte Gene und die Anzahl der untersuchten Genorte liegt bei mehreren 10-Tausenden. Dies ist ein großer Fortschritt, aber auch diese Methodik hat ihre Tücken, auf die ich gar nicht genau eingehen will.
Die Ergebnisse, die diese Untersuchung liefert sind oft sehr komplex und nicht immer ganz einfach zu interpretieren.
Ich möchte mit dem Beitrag aufzeigen, dass genetische Untersuchungen kein Allheilmittel sind und dass eine genetischen Untersuchung nicht alle Fragen lösen, die sich aus morpholgischen oder öklogischen Aspekten ergeben. Dessenungeachtet sind die neuer Verfahren wie ddrad ein große Hilfe, wenn man in der Lage ist andere Aspekte wie die Morphologie oder ökologische Differnzierung damit zu verbinden.
Viele Grüße
Alfred
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Anagallis
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Re: Melampyrum nemorosum/polonicum? Lettland

Beitrag von Anagallis »

@Peter: Lies mal die Bemerkungen zu den drei Gattungen im Rothmaler. Leider sind dort keine Quellen angegeben.
Dominik
Manfrid
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Re: Melampyrum nemorosum/polonicum? Lettland

Beitrag von Manfrid »

Kraichgauer hat geschrieben: Fr Sep 22, 2023 6:51 pmDu hast meine Ironie(n) offensichtlich ziemlich gründlich missverstanden.
Ah, gut. Wenn Deine "Vorsicht!"-Rufe bezüglich der Ökotypen der Altvorderen ironisch gemeint waren, dann bin ich ja beruhigt. Ich war tatsächlich zu stumpfsinnig, um das zu schnallen. :oops: ( ;) )
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botanix
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Re: Melampyrum nemorosum/polonicum? Lettland

Beitrag von botanix »

Hallo,

@Alfred: interessante Weiterentwicklung der molekularen Gentechnik. Vielleicht hilft uns die ddrad-Methode zukünftig die Sippendifferenzierung besser zu entschlüsseln / verstehen.
@Dominik: die Vorbemerkungen zu diesen Gattungen im Rothmaler waren mir ganz entfallen. Andererseits entzieht man sich natürlich mit der Herabstufung zu Varietäten der Behandlung ebendieser mit all ihrer Problematik.
Jedoch wird auch dem interessierten Botaniker*in damit keine Anregung geboten sich weiter mit diesen Sippen zu beschäftigen. Deshalb auch meine Anmerkung. Was nicht mehr "existiert", weil in den großen Sammeltopf geworfen, das hat auch für den Naturschutz keine besondere Schutzbedürftigkeit mehr und letzendlich gehen diese besonderen Sippen verloren. Die genetische Vielfalt innerhalb der Art wird geringer.

Gruß
Peter
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Anagallis
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Re: Melampyrum nemorosum/polonicum? Lettland

Beitrag von Anagallis »

Also, zu Euphrasia steht da, daß die Typen durch Übergänge verbunden sind und sich bei Änderung der Kulturbedingungen schnell umstellen. Bei Rhinanthus habe sich noch niemand unter Kulturbedingungen damit beschäftigt.
Dominik
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