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Anagallis tenella, Scutellaria minor sowie Wahlenbergia hederacea im Schwarzwald

Verfasst: Di Nov 05, 2024 3:15 pm
von Svampskogen
Existieren im Schwarzwald eigentlich noch Vorkommen von Anagallis tenella, Scutellaria minor (beide Hotzenwald) sowie Wahlenbergia hederacea (Hühnersedel)? Diese Arten werden in der vorliegenden Arbeit genannt:
https://www.zobodat.at/pdf/Mitt-Bad-Lan ... 3-0314.pdf

Re: Anagallis tenella, Scutellaria minor sowie Wahlenbergia hederacea im Schwarzwald

Verfasst: Di Nov 05, 2024 4:19 pm
von Anagallis
Nach meinen Informationen pfeift Anagallis tenella auf dem letzten Loch, es gibt nur noch eine einzige sterile Population. Die Wahlenbergia wurde zuletzt 2020 von den ASP-Leuten gemeldet und ist vermutlich noch vorhanden. Scutellaria minor hat am Nordrand des Schwarzwaldes über die Dürrejahre den Löffel abgegeben. Vergleicht man das mit den Funddaten aus den Verbreitungskarten sieht die Situation im Südschwarz nicht anders aus. (Seit 2017 wurde die Scutellaria in der Gegend nicht mehr gemeldet, obwohl das dieselben Quadranten wie die Anagallis sind.) Es wäre wohl noch zu überprüfen, ob sie nach den letzten zwei regenreicheren Jahren nochmal wiederkommt. Generell ist der Südschwarzwald schlimm unterkartiert.

Re: Anagallis tenella, Scutellaria minor sowie Wahlenbergia hederacea im Schwarzwald

Verfasst: Di Nov 05, 2024 4:40 pm
von Svampskogen
Oje das klingt sehr deprimierend. Aber was soll bei dieser zunehmenden Sommertrockenheit auch anderes zu erwarten sein?! Das Gebiet wäre aber definitiv mal eine Exkursion wert und von der Schweiz aus ist das ja auch gar nicht so weit ;-)
Darf ich nachfragen, wofür ASP steht?

Re: Anagallis tenella, Scutellaria minor sowie Wahlenbergia hederacea im Schwarzwald

Verfasst: Di Nov 05, 2024 5:08 pm
von Anagallis
Das ASP ist das berüchtigte Baden-Württembergische Artenschutzprogramm, das dazu da ist, im geheimen den Niedergang der Populationen zu dokumentieren und gegenüber der Öffentlichkeit zu verschleiern. Maßnahmen werden erst ergriffen, wenn der Bestand auf eine Population zusammengebrochen ist und kurz vor dem Ende steht. Die Vernichtung des Veronica-acinifolia-Vorkommens bei Haueneberstein ist der, pardon, schwachsinnigen Geheimhaltung des ASP zu verdanken. Das Vorkommen war jahrzehntelang bekannt, aber getan wurde nichts, bis ein Maisacker daraus gemacht wurde.

Re: Anagallis tenella, Scutellaria minor sowie Wahlenbergia hederacea im Schwarzwald

Verfasst: Di Nov 05, 2024 8:53 pm
von scheuchzeria
Hallo,
das Problem ist das föderalistische System, nicht das ASP eines Bundeslandes. Einigermaßen save ist man, steht eine Art auf einer Anhangsliste der FFH-Richtlinie, dann müssen Schritte abgearbeitet werden. Warum da häufige Tierarten stehen, wie Spanische Fahne und zerstreut vorkommende, aber kaum Pflanzenarten? Man munkelt entsprechende Experten seien eingeschlafen als es soweit war :D :oops: Egal wie, Pflanzenarten sind völlig unterrepräsentiert. Wenn ich mir die entsprechende Liste für NRW anschaue, muss ich sagen, wo finde ich die? Für die Eifel ist es ausschließlich der Prächtige Dünnfarn. Ich sage gerne: der Prächtige in seiner unprächtigen Form als Zellklumpen.
Danach wird es schnell schwammig. Niemand ist leicht zu zwingen einen Standort von einer seltenen Art aktiv zu pflegen. Es mag Duldungsparagraphen nach Landschaftsgesetz geben, wo eine UNB in die Lage versetzt wird gegen den Willen des Eigentümers Pflegemaßnahmen durchzuführen...ich habe es noch nie erlebt.
Im föderalistischen System bist Du am Ende abhängig vom Sachbearbeiter der UNB und dem Revierförster. Sollte es sich nicht um ein geschütztes Biotop oder FFH-LRT handeln wird Scutellaria minor vom Förster eliminiert. Da hilft Dir kein ASP. Druck kann man nur ganz unten machen.
Wird ja schnell absurd: artenreicher Kalkmagerrasen wird nicht mehr genutzt und verbracht...ist aber im Prinzip auf dem Weg zum Orchideen-Buchenwald (Modell NLP). kannste nix machen. In der Eifel sind die schönsten Geranio-Triseteten im NLP verschollen. EU-Recht NLP als höherrangig eingestuft. Hätte man gerichtlich prüfen lassen müssen, aber wer macht das schon? Ungewisser Ausgang....und wenn die Politik Tourismus wittert, ist es eh vorbei.
Wenn ich was retten will, trete ich unten...nicht oben.
vg
scheuchzeria

Re: Anagallis tenella, Scutellaria minor sowie Wahlenbergia hederacea im Schwarzwald

Verfasst: Mi Nov 06, 2024 9:45 am
von Svampskogen
Danke für die Rückmeldungen! Sehr traurig, dass es mit den aktuellen Richtlinien so schlecht um den Schutz diverser Pflanzenarten in Deutschland bestellt ist… Unverständlich finden sich derart wenige Pflanzenarten im Anhang der FFH… bleibt zu hoffen, dass dieser auch mal überarbeitet und ergänzt wird!

Re: Anagallis tenella, Scutellaria minor sowie Wahlenbergia hederacea im Schwarzwald

Verfasst: Mi Nov 06, 2024 8:24 pm
von Kraichgauer
scheuchzeria hat geschrieben: Di Nov 05, 2024 8:53 pm Warum da häufige Tierarten stehen, wie Spanische Fahne und zerstreut vorkommende, aber kaum Pflanzenarten?
Das mit der Spanischen Fahne ist ein bedauerlicher Sonderfall und war ein Lapsus bei der FFH-Zusammenstellung. Gewollt war eigentlich, die Populationen derjenigen Unterart auf Rhodos, die das berühmte "Tal der Schmetterlinge" bevölkert, zu schützen. Dann hat jemand gleich die ganze Art, die definitiv nicht FFH-würdig ist, mit auf die Liste geschrieben (oder FFH funktionierte nicht für Unterarten).
Das hat schon oft bei FFH-Gutachten für Unmut gesorgt, weil die Spanische Fahne in der Tat zumindest hier im Südwesten in fast jeder Brombeerhecke in Streuobstgebieten lebt. Aber niemand hat sie wieder von der Liste genommen. Das ist mir deswegen egal, weil es besser für den Naturschutz ist, wenn mal versehentlich eine Art zuviel auf den schützenswerten Listen steht, als umgekehrt.

In der Tat ist aber die "Unwucht" groß, und es stehen viel mehr Tierarten als Pflanzenarten in FFH, warum auch immer. Das mag ganz einfach mit dem Fehlen von Lobbyisten oder mit Desinteresse bei der Erstellung von FFH zu tun haben. Da könnte ich abendelang Stories dazu erzählen.
Grundsätzlich war aber FFH eine ganz tolle, epochemachende Geschichte, die nur deswegen 1990 durchkam, weil die Umsetzungsfrist 10 Jahre war und es deswegen kein Schwein bei den Politikern interessiert hatte. Die EU ist für Natur- und Umweltschutz in der Regel ein Segen, auch wenn es in Details manchmal klemmt und überbürokratisch ist. Deutschland alleine hätte so was nie im Leben alleine gestemmt (oder gewollt).

Gruß Michael

Re: Anagallis tenella, Scutellaria minor sowie Wahlenbergia hederacea im Schwarzwald

Verfasst: Mi Nov 06, 2024 8:36 pm
von Kraichgauer
Und hier noch eine andere Erinnerung: als Vorsitzender des Landesnaturschutzverbands Baden-Württemberg habe ich in den 1990er Jahren einen jahrelangen, vergeblichen Krieg gegen die für die Artenschutzprogramme zuständigen Naturschutzbehörden (LfU, später LUBW) geführt. Damals kamen die teuer finanzierten "schwarzen Ulmer-Bände" der Flora BW raus, und bereits damals stand überall da drin, wo was gemacht werden müsste, dass die jeweilige Art gerettet wird (bereits damals war Anagallis tenella am Erlöschen; erstaunlich eigentlich, dass sie es bis heute noch geschafft hat). Ich habe damals öffentlich auf Landesebene gewettert, dass ich endlich mal jemand mit dem Spaten bei konkreten Maßnahmen im Gelände sehen wolle.

Der damalige Umweltminister Vetter versprach mir, eine ganze Million DM für den konkreten Artenschutz zur Verfügung zu stellen (ja, das war viel Geld, ungefähr soviel wie ein Kilometer Straße oder so). Und dann ist die LfU hingegangen und hat gesagt, die Hälfte davon bräuchte man, um "vorbereitende Gutachten" durch die bereits damals lobbymäßig bestens vernetzten Kartierungsbüros durchführen zu lassen. Ich bin schier wahnsinnig geworden, weil ja alles Notwendige bereits in der Flora BW stand. Die angesprochene Geheimhaltung des Artenschutzprogramms kam erst später auf und war eine Reaktion unter anderem auf mein Insistieren. Damit wollte man schlichtweg die eigene Ineffizienz verschleiern.
Geändert hat sich seither gar nichts. Nachdem die Bezirksstellen für Naturschutz Ende der 1990er Jahre als "störende Behörden" (wörtliches Zitat) in die Regierungspräsidien eingegliedert wurden, fiel auch diese Aktionsbasis weg.

Eine andere Beobachtung aus langjähriger Erfahrung ist allerdings auch, dass die Botaniker (mit Ausnahme der Orchidologen) meist Einzelgänger sind, die sehr schlecht bei der Lobbyarbeit und beim Naturschutz sind, beim Naturschutz trifft man sie eigentlich fast nie. Da sind die Ornithologen (und erstaunlicherweise ab und zu auch die Entomologen) sehr viel besser.

Gruß Michael

Re: Anagallis tenella, Scutellaria minor sowie Wahlenbergia hederacea im Schwarzwald

Verfasst: Mi Nov 06, 2024 10:35 pm
von scheuchzeria
Hallo Michael,
alles richtig...es bleibt der falsche Adressat. Niemals wird sich Scholz (zeitlich nun ja begrenzt) oder Kretschmann, zwischengeschaltete Behörden für konkrete Standorte interessieren. Seltenst erscheinen die als Grußonkel wenn ein NLP eingerichtet wird. Die sind ja gar nicht zuständig für einzelne Biotope oder Fundorte. Du musst über Eigentümer und UNB oder Kommune ran. Den Umweltminister beschimpfen...mit der Hand vor den Kopf schlagen, mach ich auch gerne. Der Föderalismus verlangt ein anderes Vorgehen...schaut man sich so die aktuellen Zeiten an, wird es keine Anpassung der Listen geben. Wenn die größte Wirtschaftsmacht nun wieder 4 Jahre den Klimawandel leugnet...ist die Messe wohl bald gelesen. Der Mensch ist vom Prinzip gedacht für eine Erntesaison, Legislatur ist schon Utopie...langfristig für Spinner
Hoffen wir das Beste

Re: Anagallis tenella, Scutellaria minor sowie Wahlenbergia hederacea im Schwarzwald

Verfasst: Do Nov 07, 2024 10:08 am
von botanix
Hallo,
@scheuchzeria: hast in allen Punkten 100% meine Zustimmung. In Gesprächen auf unterer Ebene bis zum Flächeneigentümer erreicht man etwas. Alles andere ist der Versuch das Matterhorn umzusetzen.
Der Klimawandel ist in vollem Gange, die 400 Liter Regen um Valencia erinnern an die biblische Sintflut. Es sieht leider so aus, als ob die Menschheit diesmal ihre Chance ausschlägt.
Gruß
Peter