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Chenopodium album - vor langer Zeit entstanden

Verfasst: So Sep 14, 2025 11:40 am
von Kraichgauer
Hallo zusammen,

die Arbeitsgruppen von Mandák und Mosyakin publizieren seit einigen Jahren viele Papers zum Chenopodium-album-Aggregat mit phylogenetischen Stammbäumen. Dabei sind zahlreiche neue Erkenntnisse enthalten, vor allem in einem gerade als Preprint (Aug. 2025) erschienenen Paper. Ich muss daher die Informationen in FG überarbeiten. Gottseidank ändert sich an der Taxonomie der deutschen Arten meist nicht viel, nur bei den Hintergrundinformationen.
Neu zur FG ist allerdings, dass C. borbasii eine eigene Art ist, nicht nur eine Unterart, außerdem C. missouriense als Art bestätigt wird.
Außerdem wird das mysteriöse C. lobodontum Scholz erst mal als Art anerkannt, da es diploid ist und nicht von polyploiden Elternarten abstammen kann.

Besonders wichtig und online verfügbar:
das neue Paper vom August 2025 im Preprint: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm ... id=5407556
Der Stammbaum steht u.a. im Paper zu C. ucrainicum: https://academic.oup.com/botlinnean/art ... 01/7308415
Leider ist das grundlegende Paper von Mandák et al. 2018 hinter einer Bezahlschranke, man kann es aber über Researchgate bei den Autoren anfordern.

Wichtig ist u. a.:
- Im C.-album-Aggregat gibt es 8 grundlegende Genomtypen ursprünglich diploider Arten (Genome AA bis HH).
- Diese diploiden Vorläufer (einige davon schon lange ausgestorben) bildeten in komplexen Hybridisierungsprozessen ganze Schwärme von Polyploiden, die sich stabilisiert haben.
- C. album (s. str.) ist immer hexaploid, ein komplexes Gemisch von verschiedenen Allopolyploiden und enthält 16 identifizierbare Typen, die man aber taxonomisch nicht trennen sollte, sonst wird es chaotisch.
- Neu ist die Erkenntnis, dass die Hybridisierungen zu C. album nicht (!) rezent stattfinden, sondern schon sehr lange (> 1 Mio Jahre) zurückliegen.
Die große Frage ist jetzt, was ist mit den vielen angeblichen "Hybriden", die von Aellen, Murr und anderen aufgrund der Morphologie als "Hybriden" postuliert und beschrieben wurden. Ich vermute mal, das sind ebenfalls alte Allopolyploide und nur zufällig den postulierten Elternarten ähnlich. Man müsste sie daher in den Formenschwarm der polyploiden Arten einsortieren, meistens wohl in C. album s. str.

Gruß Michael

Re: Chenopodium album - vor langer Zeit entstanden

Verfasst: So Sep 14, 2025 11:32 pm
von Kraichgauer
Hier ist eine aktuelle Liste der deutschen Arten in der Reihenfolge, wie sie in der FG abgehandelt wurden, mit Kommentaren zum aktuellen Stand (in einer Neuauflage müsste man sie wohl anders sortieren). [Den gleichen Text habe ich auch in den Online-Nachtrag der FG eingefügt.]

S. 1063, C. album s. str.: Hexaploid, Genom BBCCDD: Das eigentliche C. album ist ein hexaploider Komplex aus zahlreichen (mindestens 16!) jeweils bei unterschiedlichen Hybridisierungsvorgängen entstandenen Sippen. Es macht aber wenig Sinn, diese taxonomisch aufzuspalten, da die morphologischen Merkmale oft nicht mit der Genetik korrelieren. Mandák et al. (2025) bewiesen, dass diese Hybridisierungen bereits sehr lange (> 1 Mio Jahre) zurückliegen und im Gegensatz zur bisherigen Meinung keine Rezenthybridisierung mehr stattfindet!

S. 1063, C. album „var. pedunculare“: Wie Wisskirchen (2023) ausführt, wurden bei zahlreichen Versuchen aus Samen von „pedunculare“ ausschließlich typische C. album erhalten. Damit ist der Beweis erbracht, dass es sich nur um eine Modifikation und nicht um eine taxonomisch fixierte Sippe handelt. „Pedunculare“ tritt allerdings durchaus regelmäßig und dann oft in kleinen Gruppen auf, wie Funde in BW in den letzten Jahren (Stuttgart, Pfinztal) zeigten.

S. 1063, C. borbasii Murr [= C. album subsp. borbasii (Murr) Soó]: Hexaploid, Genom BBCCDD. Nach Mandák et al. (2025) genügend unterschieden von C. album, um als eigenständige Art zu gelten. Kann allerdings wegen des gleichen Genoms vermutlich mit C. album hybridisieren.

S. 1063, C. lobodontum Scholz: Bisher nur aus Berlin bekannt. Die Art ist diploid, vielleicht auch tetraploid und kann daher kein Hybrid mit C. album als Elter sein. Mandák et al. (2025) führen sie deswegen vorläufig als eigenständige Art mit unbekannter Herkunft und nur zufälliger Ähnlichkeit des Blattschnitts.

S. 1063, C. opulifolium: Diploid, Genom FF. Eigenständig und genetisch gut getrennt (bildet eine eigene Gruppe).

S. 1064, C. probstii: Hexaploid, Genom BBCCDD. Nach Mandák et al. genetisch unterschiedlich zu C. album und daher eine eigene Art. Kann aber theoretisch mit C. album hybridisieren.

S. 1064, C. suecicum: Diploid, Genom BB. Eine der überlebenden diploiden „Basisarten“, verwandt mit den tetraploiden C. quinoa und C. berlandieri.

S. 1064, C. pratericola und S. 1065, C. desiccatum: Diploid, Genom AA. Von Young et al. (2023) untersucht. Nordamerikanische Arten, die zu einer artenreichen, diploiden Gruppe rund um die tetraploiden C. berlandieri und C. quinoa gehören.

S. 1065, „C. strictum“: Mittlerweile setzt sich die Interpretation durch, dass C. betaceum Andrz. der gültige Name für diese Art ist und der auf einem sehr schlechten Typus basierende Name C. strictum Roth eher zu C. album gehört. Tetraploid, Genom CCDD. Die in C. album enthaltenen Genome CCDD sind aber nicht identisch mit denjenigen in C. betaceum, und deswegen ist dies kein Elter von C. album.

S. 1065, C. striatiforme: Tetraploid, Genom CCDD. Wird von Mandák et al. anerkannt, da genetisch und morphologisch von C. betaceum hinreichend unterschieden.

S. 1066, C. ficifolium: Diploid, Genom BB. Verwandt mit C. quinoa.

S. 1066, C. berlandieri: Tetraploid, Genom AABB, verwandt mit und möglicherweise eine Wildform von C. quinoa. Nordamerikanisch, formenreich, der Status der einzelnen Varietäten wird unterschiedlich gehandhabt. Wurde unabhängig von C. quinoa in Nord- und Mittelamerika kultiviert (Maughan et al. 2024).

S. 1066, C. quinoa: Tetraploid, Genom AABB. Die kultivierte Art mit Heimat Südamerika.

S. 1067, C. vulvaria: Diploid, Genom HH. Nicht nur morphologisch, sondern auch genetisch am weitesten von C. album entfernt und basal in der C.-album-Gruppe.

S. 1067, C. giganteum: Hexaploid. Die Art bildet ähnlich wie C. album einen formenreichen Schwarm, bei dem es sich möglicherweise ebenfalls um jeweils unabhängig entstandene Typen handelt.

S. 1067, C. ×reynieri: Nach Habibi et al. (2023) und Mandák et al. (2025) gehören C. album und C. giganteum (wie auch C. probstii, C. missouriense und C. borbasii) zu einer Gruppe von hexaploiden Arten mit gleichem Genom BBCCDD. Diese können offensichtlich trotz der Polyploidie untereinander hybridisieren. Der Status von C. ×reynieri als Rezenthybrid zwischen C. album und C. giganteum scheint daher möglich, ist aber bisher noch nicht bewiesen.

S. 1067, C. hircinum: Tetraploid, Genom AABB, verwandt mit und möglicherweise eine Wildform von C. quinoa. Südamerikanisch.

S. 1067, C. missouriense Aellen: Hexaploid, Genom BBCCDD. Mandák et al. (2025) bestätigen ausdrücklich den Artstatus dieser nordamerikanischen Sippe. Die Art kann allerdings mit C. album hybridiseren (vgl. oben). Mittlerweile gibt es weitere Funde der Art in D (u.a. in BW). Vermutlich wird die morphologisch zu C. album und C. betaceum sehr ähnliche Art meist übersehen.

S. 1067, C. acuminatum: Diploid, Genom DD. Eine der diploiden „Basisarten“.

S. 1067, „C. borbasioides“: Vermutlich ein Synonym zu C. borbasii.

S. 1067, C. karoi und C. pamiricum: Beide diploid, Genom EE, zentralasiatische Arten.

S. 1067, „C. purpurascens“: Keine eigenständige Art, sondern ein Synonym von C. quinoa.

S. 1067, C. trigonon subsp. stellulatum (Benth.) S.Fuentes & Borsch (= C. stellulatum Benth.). Gehört zur australischen Untergattung Einadia.

Re: Chenopodium album - vor langer Zeit entstanden

Verfasst: Mo Sep 15, 2025 3:46 pm
von Arthur
Vielen Dank Michael, für die Zusammenfassung des aktuellen Stands der Gattung Chenopodium in Deutschland.

Meine Beobachtungen zu C. betaceum/strictum und striatiforme sind, dass die beiden Arten, wenn sie mal abgemäht wurden, nicht zu trennen sind. Diese aufsteigende Wuchsform haben dann beide. Deshalb immer nur komplette, nicht gemähte abgefressene Pflanzen zur Bestimmung heranziehen. In Südhessen habe ich striatiforme bis jetzt selten gefunden aber dafür komisch-wachsende betaceum sehr oft.

C. borbasii und probstii finde ich in Hessen nicht oder ich verkenne sie unten den ganzen Morphotypen von album.
C. opulifolium ist in Südhessen, vor allem in der Untermainebene zerstreut aber nicht häufig zu finden.
Sehr großes Kopfzerbrechen bereitet mir C. suecicum. Ich habe ich bewusst noch nicht gefunden. Die Merkmale sind für mich nicht greifbar. Die Art müsste man mir mal zeigen.

Re: Chenopodium album - vor langer Zeit entstanden

Verfasst: Mo Sep 15, 2025 5:53 pm
von Kraichgauer
C. striatiforme fanden wir in Südhessen u.a. in einer großen Kolonie am Standort von Cenchrus longispinus NW von Jugenheim. Da stammen auch die Bilder in meinem Thread zu striatiforme her. Ansonsten ist die Art hauptsächlich in Baustellen in Städten zu suchen.

C. borbasii ist eine südöstlich-pannonische Art, die in D bisher nur adventiv gefunden wurde.

C. probstii scheint wohl hauptsächlich im Osten vorzukommen (Umg. Leipzig). Was die Holländer und Belgier an der Maas als "probstii" kartieren, hat mich vor Ort nicht so recht überzeugt. Es gibt leider wohl auch Exemplare von album s. l. mit dicklichen Blättern, die aussehen wie probstii. Die beiden sind im Zweifelsfall schwierig zu trennen. Auch in BW habe ich bisher noch keinen überzeugenden probstii gesehen.

C. suecicum habe ich bisher nur in Mannheim-Ludwigshafen gefunden, dort aber mehrfach. Wenn man die Art mal gesehen hat, ist sie recht charakteristisch mit dem sehr lockeren Blütenstand und den auffällig großen und spitzen Blatt-Basallappen. Optisch kann man sie am ehesten mit Chenopodiastrum hybridum verwechseln. Sie scheint aber tatsächlich überall selten zu sein.

Das Verbreitungsgebiet von C. opulifolium in der Rheinebene reicht südlich bis mindestens nach Karlsruhe, aber die Art ist tatsächlich überall sehr zerstreut bis selten.

Gruß Michael