Die falschesten Artepitheta

Gallen, Vögel, Insekten, Biologie usw.
Marlies
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Re: Die falschesten Artepitheta

Beitrag von Marlies »

Jochen hat geschrieben: Mo Aug 29, 2022 8:30 pm Botaniker unterscheiden durchweg zwischen "im Wald wachsend" (silvaticus) und "wildwachsend" (silvestris) (Genaust).
Auf jeden Fall. Wenn man das Etymologisches Wörterbuch von GENAUST nicht hat oder nicht zur Hand hat, kann man hier
https://www.uni-due.de/botanik/artnamen ... opartnamen nachsehen. (Ob es völlig fehlerlos ist, weiß ich nicht.)
Marlies
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Anagallis
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Re: Die falschesten Artepitheta

Beitrag von Anagallis »

Jochen hat geschrieben: Mo Aug 29, 2022 8:30 pmBotaniker unterscheiden durchweg zwischen "im Wald wachsend" (silvaticus) und "wildwachsend" (silvestris) (Genaust).
Und im "Genaust" sind welche Quellen dafür angegeben? Linné hat wo seine Interpretation dieser Begriffe schriftlich fixiert? Und diese Interpretation war belegbar allen folgenden Botanikerinnengenerationen bekannt und wurde belegbar konsistent angewendet?

(Man hört vielleicht heraus, daß ich Etymologie zu großen Teilen für Mumpitz halte, sofern sie über den reinen Wortstamm hinausgeht.)
Dominik
Kraichgauer
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Re: Die falschesten Artepitheta

Beitrag von Kraichgauer »

Und hier ist mir noch einer eingefallen: das Allerletzte. Südlich von Las Vegas liegt in der Wüste eine berühmte Straße ins Nirgendwo, die jemand mal "Zyzzyx Road" getauft hat, um im Verzeichnis definitiv ganz hinten zu stehen. Das Straßenschild wird jetzt immer photographiert.
Der Gag hat sich aber fortgesetzt: Strother hat 1991 eine Gattung Zyzyxia (Asteraceae) beschrieben. Die ist mittlerweile aber wieder synonymisiert worden. Fast schade drum...

Gruß Michael
Jochen
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Re: Die falschesten Artepitheta

Beitrag von Jochen »

Anagallis hat geschrieben: Di Aug 30, 2022 12:44 amUnd im "Genaust" sind welche Quellen dafür angegeben?
Angegeben ist "Fisch. 37". Das ist Adler, W., K. Oswald & R. Fischer, 1994: Exkursionsflora von Österreich. Redigiert und hrsg. von M. A. Fischer. - Stuttgart & Wien: Ulmer

Mit freundlichem Gruß
Jochen
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abeja
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Re: Die falschesten Artepitheta

Beitrag von abeja »

Um noch einmal auf silva, silvestris, silvaticus zurückzukommen. ;)

Bei albertmartin.de kommt nur "silva" vor (Wald) und "silvestris"/ "silvester" (bewaldet). Das Wort "silvaticus" ist gar nicht verzeichnet. Umgekehrt liegen den dortigen Übersetzungen von "wild" nie der Wortstamm "silva" (Wald) zugrunde. Da ist aber wahrscheinlich nur ganz "klassisches" Latein eingeflossen.

Die bot. Bezeichnungen sind ja aber nicht "klassisch", sondern "nachklassisch".
Bei Pons zu "sylvestris" (edit: "silvestris" ... wie komme ich nur auf das y, es steht ja im Pons richtig)1. bewaldet - 2. im Wald lebend - 3. (poetisch) ländlich - 4. poetisch/ nachklassisch wild(wachsend), wild (im Sinne von roh)
Bei Pons zu "sylvaticus" (edit: "silvaticus") (vor- und nachklassisch) in der Wildnis wachsend/lebend (Der Wald wird dann mit Wildnis gleichgesetzt)

Demnach "genau" genommen (aber nicht GENAUST genommen) wäre "silvestris" der weiter gefasste Begriff und könnte für "im Wald lebend" und für "wild wachsend" verwendet werden, während "silvaticus" (seltsamerweise) nur die Bedeutung von "in der Wildnis lebend" hätte.
Ob die "nachklassischen" Botanik-Lateiner sich da wirklich auf eine Konvention geeinigt haben, weiß ich nicht und zweifele es an.
Aber Sprache lebt ja, also warum nicht "gehupft wie gesprungen"?
Viele Grüße von abeja
Kraichgauer
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Re: Die falschesten Artepitheta

Beitrag von Kraichgauer »

Das Latein vieler "nachklassischer" Naturkundler war oft nicht gerade das Beste, zumal es für viele Begriffe keinen "altklassischen" lateinischen Begriff gibt. Daher sind in vielen Fällen die lateinischen Namen schlichtweg gepfuscht oder "individuell verfeinert". Das sieht man an den Diskussionen über die Ableitung oder Herkunft des Gattungsnamens älterer Namen - da wird durch die späteren Generationen oft nur spekuliert, was damit gemeint gewesen sein könnte.
Ich gehe davon aus, dass die Begriffe "silvestris" und "silvaticus" schlichtweg je nach Gusto des jeweiligen Autors verwendet wurden, ohne dass man sich darüber große Gedanken gemacht hat.
Übrigens empfehle ich für "Naturkundler-Küchenlatein" immer den Schenkling (Nomenclator coleopterologicus) von 1894, herunterzuladen hier: https://www.biodiversitylibrary.org/ite ... 3/mode/1up. Da findet man fast alles drin, allerdings natürlich käfer-zentrisch.

Schenkling war ein sehr gründlicher, alter Dokumentierer von lateinischen Namen. Auf S. 196 schreibt er schlichtweg:
silvaticus, a, um (nicht sylvaticus), im Walde, silva, lebend.
silvestris, e. (nicht sylvestris), wie vor.!
silvicola (nicht sylvicola), wie vor.!
Er sieht also schlichtweg keinen Unterschied. Also schon damals gehupft wie gesprungen - wobei im Badischen ja bekanntlich "springen" für hochdeutsch "laufen" (vgl. "spring mal zum Bäcker") und "hupfen" für hochdeutsch "springen" verwendet wird.

Aber bei den Gattungsnamen gibt es interessanterweise noch eine Ableitung für "Silvanus Latr.": "Nach einem Waldgott der Römer, Silvanus, benannt".

Gruß Michael
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Monsti
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Re: Die falschesten Artepitheta

Beitrag von Monsti »

Aber Sprache lebt ja, also warum nicht "gehupft wie gesprungen"?
So sehe ich das auch, zumal es in der wissenschaftlichen Nomenklatur eh munter durcheinandergeht (lateinisch, griechisch, Personen- oder Ortsnamen ...) und oft auch der Genus nicht passt. Für mich persönlich ist nur wichtig, dass die Bezeichnung international eindeutig ist.
_______
Werden zum Fundort keine Angaben gemacht, handelt es sich um unseren Naturgarten in ca. 900 m Höhe mit magerem Kalkrohboden (Rendzina).
Jochen
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Re: Die falschesten Artepitheta

Beitrag von Jochen »

Vallonia hoppla hoppla

In diesem Thread geht es zwar um die Namen von Pflanzen. In diesem Zusammenhang sind mir aber die Namen von 2 Landschnecken der Gattung Vallonia (Grasschnecken) in Erinnerung gekommen, die hier gut aufgehoben sind.

1966 wurde erkannt, daß 2 Schneckentypen aus dem Ober-Oligozän von Hochheim-Flörsheim bei Wiesbaden als Subspezies zu einer eigenen, neuen Art gehören. Diese Art wurde von den Entdeckern auf den Namen Vallonia hoppla getauft und die beiden Unterarten auf Vallonia hoppla compactula und Vallonia hoppla hoppla!

Zur Derivatio nominis heißt es: "Hoppla!" (deutsch): Ausruf des Erstaunens; "hoppla" ist als Wort unveränderlich und als spezifisches Epitheton wie ein substantivische Apposition zu behandeln.

Das Epitheton hoppla ist berechtigt, da diese Schnecken bereits seit 1863 bekannt sind, aber erst 1966 als eigene Art erkannt wurden.

Lit.: Jochen Gerber, Revision der Gattung Vallonia Risso 1826, Schriften zur Malakozoologie aus dem Haus der Natur - Cismar, Heft 8, 1996.

Liebe Grüße
Jochen
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